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Marc Jung kam über Graffiti und Streetart zur Kunst.

© Ottmar Winter

Kunst der Kontraste: Der Straßenkämpfer

Blingbling mit politischer Message: Der Künstler Marc Jung verbindet Posen der Street Credibility mit dem wütenden Gestus eines George Grosz. Zu sehen im Kunstraum.

Potsdam - An dem Tag, an dem Boris Johnson seinen Rückzug bekanntgeben wird, spuckt er im Kunstraum Potsdam Feuer. Auf einem monumentalen Wandgemälde sitzt der scheidende britische Premierminister an einer langen Tafel, weit rechts außen, ganz in der Nähe die Staatschefs Xi Jinping, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin. Nur einer der zehn Politiker am Tisch züngelt noch größere Flammen: Donald Trump.

„Happy Meal“ heißt das Monumentalformat von Marc Jung, das hier der Ausstellungseröffnung am Samstag harrte. Sieben Meter breit, zwei Meter hoch. Es ist eine wütende, wilde Anverwandlung des klassischen Abendmahl-Motivs, die Gesichter verzerrte Fratzen wie bei George Grosz oder Otto Dix. Dort, wo bei Da Vinci der Heiland sitzt, in der Mitte, hat Marc Jung in grellem Orange einen Notausgang hingemalt, umrahmt von schwarz-gelben Warnfarben. Eine Leerstelle, eine Baustelle, das Tafelrund drumherum ein Schlachtfeld. Vorne versucht ein braungewandetes Männlein mit schwarzem Schnauzbart, das Tischtuch zu erklimmen. Auf der roten Armbinde ein blauer AfD-Pfeil.

Traditionelle Farben sind Jung zu „lieblich“.
Traditionelle Farben sind Jung zu „lieblich“.

© Ottmar Winter

Rammstein-Frontmann versteigerte Bild von Jung

„Happy Meal“ entstand 2019, in für Jungsche Verhältnisse relativ langer Arbeitszeit: eine Woche. In der Nacht, als er es zu Ende malte, war noch Zeit für ein anderes Bild, das ebenfalls im Kunstraum zu sehen ist: „Germania“. Eine Frau in Slip und Lederjacke, umringt von fünf Kampfhunden, die die Zähne blecken. Die Frau hat dunkle Haut, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen – wie die schwarze Frau, die in dem Rammstein-Video zum „Deutschland“-Song Germania spielte. 

Marc Jung ist mit Rammstein-Frontmann Till Lindemann befreundet, 2019 war Jung als Gestalter für das neue Album im Gespräch. Im März dieses Jahres versteigerte Lindemann medienwirksam eines von Marc Jungs Bildern – der Erlös (14.000 Euro) kam Menschen in der Ukraine zugute. Auch Axl Rose soll übrigens zu den Sammlern gehören, darauf ist Marc Jung stolz.

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Aus der Album-Gestaltung für Rammstein hingegen wurde nichts, außer eben das „Germania“-Bild, das jetzt im Kunstraum zu sehen ist. Marc Jung nimmt es sportlich, wie alle Kunst, die er angeht. An einem Bild malt er ein bis zwei Stunden, die Zeit eines Interviews. Marc Jung, geboren 1985 in Erfurt, war selbst Leistungssportler, bis er fast zwanzig war. Er schaffte es als Ringer in die zweite Bundesliga, kleinste Gewichtsklasse. 

Im Training trat man auch gegen die Größeren, Schwereren an – etwas, das ihn bis heute prägt. Was der Sport ihm beibrachte: „Demut.“ Die Tatsache, dass es immer auch Größere, Bessere gibt – und man dennoch mit ihnen in den Ring steigen kann. Noch heute trainiert er jeden Tag, spielt Fußball, Basketball, genießt es, mit Kumpels zusammen zu sein, die von seiner Kunst nichts wissen und nichts wissen wollen.

Sprühdose statt Pinsel

Zur Kunst kam er über Graffiti und Streetart, erst illegal, dann legal. Als Sprayer füllte er riesige Flächen, im Vergleich dazu scheinen die Formate im Kunstraum alle klein. Den Straßenkämpfer-Gestus hat Jung behalten, auch die Schau im Kunstraum heißt: „Streetfighter“. Noch heute arbeitet er hauptsächlich mit Sprühdosen, selten mit Pinseln. 

Das 2020 entstandene Bild "Streetfighter" von Marc Jung gab der Ausstellung im Kunstraum ihren Namen. 
Das 2020 entstandene Bild "Streetfighter" von Marc Jung gab der Ausstellung im Kunstraum ihren Namen. 

© Ottmar Winter

Auch wenn er nicht wirkt wie jemand, der nicht lange grübelt: Marc Jung hat an der Bauhaus-Uni in Weimar Kunst studiert, war bei Daniel Richter in Wien. Richter und Basquiat haben ihn geprägt. Er skizziert mit Kohle vor, bearbeitet die Leinwand dann mit Sprühfarbe und setzt nur kleine Akzente am Ende mit Acrylfarbe. 

An den grellen Farbtönen mag er das Aggressive, traditionelle Farben sind ihm zu „lieblich“. In jüngerer Zeit reizt er die Schrillheit der Neonfarben weiter aus und integriert Neonröhren in seine Leinwände. Je schriller, desto besser. Die Aggressivität seiner Motive, diese übermenschlich muskulösen Körper, die Tierfratzen mit den gefletschten Zähnen und spitzen Batman-Ohren bekommen durch rosa oder hellblau-neonlicht verstärkte Linien etwas Ironisches, Spielerisches zurück, treten aus der Leinwand hervor, werden zu Werbetafeln ihrer selbst. 

Jung sieht sich als Beobachter

Mit dem Standup-Comedian Felix Lobrecht ist Marc Jung befreundet, eine limitierte Edition seines Modelabels „12k“ hat Jung gestaltet, Spuren davon sind auch im Kunstraum zu finden. In der Porträtserie „Underwaterlove“, entstanden zwischen 2017 und 2020, übermalt Marc Jung Promi-Fotos von Marco Fischer – Lena Meyer-Landrut ist hier „Black Pearl“, Sami Khedira „Büffel von Stuggi“, auch der Rapper Clueso, wie Jung gebürtiger Erfurter, ist dabei, der maskierte Rapper Cro – und mittendrin in dieser Welt des schnellen Geldverdienens und der kraftmeiernden Posen, mit gescheiteltem Haar und muskulösen nackten Schultern: Marc Jung.

Marc Jung hat an der Bauhaus-Uni in Weimar Kunst studiert.
Marc Jung hat an der Bauhaus-Uni in Weimar Kunst studiert.

© Ottmar Winter

Als Marc Jung in den 1980ern und 1990ern in Thüringen aufwuchs, waren alle um ihn herum „extrem politisiert“, „man war entweder links oder rechts“. Er beschreibt sich selbst eher als Beobachter, als einen, der nicht unbedingt Position bezog – und dem es auch heute wichtig ist, dass seine Bilder einen Rest spielerische Offenheit behalten. Aber der AfD-Hitler in „Happy Meal“ spricht eine deutliche Sprache, und auch dem beschämendsten Bild ostdeutscher Rechtsradikalität schuf er 2018 ein künstlerisches Monument. 

„Stop trying to be God“ zeigt übermannsgroß eine Variation jenes traurigen, ikonischen Fotos, das Martin Langer 1992 am Rande der Krawalle in Rostock-Lichtenhagen machte: ein blonder Mann im Deutschlandtrikot hat den Arm zum Hitlergruß erhoben, im Schritt Spuren von Urin. Bei Marc Jung hat er schwarze Augen und Spuren von blutroter Farbe auf dem Shirt. Darauf hat Marc Jung geschrieben: Das ist noch gar nicht lange her.

„Streetfighter“, bis 14. August im Kunstraum

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