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Mit mehr Zuversicht. Der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht (SPD).

© Ralf Hirschberger/dpa

Brandenburg: Kein Ruhmesblatt Eine Staatsanwältin berichtet

dem NSU-Untersuchungsausschuss, wie „Piatto“ lange unter dem Radar blieb und dann V-Mann wurde

Potsdam - Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags Brandenburg hat am Freitag eine erste Zwischenbilanz gezogen. Auch zum Abschluss der Untersuchungen zur „Nationalen Bewegung“, deren Tatserie 2001 im Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam gipfelte. Zugleich ging der Ausschuss bei seinem Kernthema, nämlich möglichen Verstrickungen und Verfehlungen der hiesigen Behörden im NSU-Komplex, erstmals in die Vollen. Ein Überblick.

Eine Staatsanwältin erinnert sich an den V-Mann „Piatto“

Petra Marx hatte sich gut vorbereitet, sie hatte alte Akten studiert, sich Daten notiert. Die Oberstaatsanwältin aus Frankfurt (Oder) hatte in den früheren 1990er-Jahre mit Carsten Szczepanski zu tun. Und sie bekam mit, wie der Verfassungsschutz ihn 1994 in Untersuchungshaft als V-Mann anwarb, der später unter dem Decknamen „Piatto“ Hinweise auf das NSU-Mördertrio gab, die aber wegen restriktiver Vorgaben des Nachrichtendienstes nicht zur Ergreifung der Neonazis führten. Marx ist eine resolute Frau, ihre Antworten auf die Fragen der Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschuss waren minutenlange Vorträge. Im Kern machte sie deutlich, dass Szczepanski früher hätte gestoppt werden können. Wenn denn der Informationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft optimal gelaufen wäre, es eine Vernetzung gegeben hätte. „Mit dem Verfassungsschutz war das eine Einbahnstraße. Wir wurden abgeschöpft, haben aber nie etwas bekommen“, sagte Marx.

Marx war damals Dezernentin für politische Straftaten. Sie war zuständige Staatsanwältin im zweiten Prozess um den versuchten Mord an dem nigerianischen Asylbewerber Steve Erenhi. Eine Meute Neonazis prügelte ihn im Mai 1992 in Wendisch-Rietz fast tot. Im ersten Prozess galt Szczepanski als einfacher Mittäter. Marx stieß darauf, dass er von Polizei und Staatsanwaltschaft gar nicht durchleuchtet wurde. Eine Fehlbehandlung, wie sie sagte. Und sie entdeckte die wenige Monate nach der Attacke von Wendisch-Rietz vom Generalbundesanwalt eingestellten Ermittlungen gegen Szczepanski wegen Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung. Szczepanski hatte eine Gruppe des Ku-Klux-Klans (KKK) angeführt, Hetzschriften verfasst, Waffen gesammelt und Bombenmaterial. Doch weder wussten die Bundesanwälte von der Attacke auf Erenhi, noch wussten die Ermittler beim ersten Prozess zum versuchten Mord von den Terror-Ermittlungen. „Wir hatten es mit einem hochkarätigen  Neonazi, dem hochgefährlichen Kopf der KKK-Bewegung in Deutschland zu tun, der bis dahin nicht erkannt wurde“, sagte Marx. „Das war kein Ruhmesblatt.“ Die herausgehobene Stelle als Anführer bei der Tat wurde dann in der Neuauflage des Prozesses vom Gericht erkannt.

Irgendwann im Sommer 1994 dann wurde Szczepanski vom Verfassungsschutz angeworben, als er in U-Haft in Königs Wusterhausen saß. Ihr Chef, der damalige Leitende Oberstaatsanwalt von Frankfurt (Oder), habe sie darüber informiert, sagte Marx. „Das lief nicht über meinen Tisch.“ Auch nicht die Besuchserlaubnis für die Nachrichtendienstler in der Untersuchungshaft. Einfluss auf die Ermittlungen, das Verfahren vor Gericht habe das aber nicht gehabt, sagte sie auf mehrfache Nachfragen der Abgeordneten. Die wussten aus den Akten von Zusagen zu Hafterleichterungen und Deals. „Vor Gericht spielte das keine Rolle für uns“, so Marx.

Die Bilanz des Ausschusses

Der Ausschuss hat am Freitag nach den 17 Sitzungen mit 182 Beweisanträgen auch Bilanz gezogen zu den gerade erst abgeschlossenen Untersuchungen zur „Nationalen Bewegung“. Der Linke-Obmann Volkmar Schöneburg sagte, der Ausschuss habe schon jetzt gezeigt, dass das Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei nicht immer eingehalten worden sei. Auch beim Umgang mit V-Leuten seien Fehler gemacht worden – etwa dass einem Extremisten als V-Mann eine Art Rechtsberatung angeboten wurde, welche Musik verboten sei und welche noch legal vertrieben werden dürfe. Schöneburg und SPD-Obmann Björn Lüttmann wollen auch den Potsdamer Neonazi und Rechtsrocker Uwe Menzel ins Visier nehmen. Er gilt als Schanier zwischen „Nationaler Bewegung“, die von den Ermittlern trotz Waffenfunden in Ruhe gelassen wurde, und dem Netzwerk „Blood & Honour“, das dem NSU-Trio beim Untertauchen half.

CDU-Obmann Jan Redmann wertete es als Erfolg, dass der Ausschuss nicht den Verdacht habe bestätigen können, dass Anschläge der sogenannten Nationalen Bewegung vom Verfassungsschutz inszeniert wurden. Diesen Verdacht hatte im Ausschuss Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg geäußert. Es seien keine Anhaltspunkte für die „steile These“ des Ermittlers gefunden worden, sagte Redmann. Redmann erklärte, der Ausschuss habe sich mit Rückendeckung des parlamentarischen Beratungsdienstes entschieden, vom Innenministerium als geheim eingestufte Akten auseinanderzunehmen, streng vertrauliche von unbedenklichen Papieren aus den Ordnen im Geheimschutzraum zu trennen. Um damit öffentlich besser arbeiten zu können.

Und nach Abschluss des ersten Komplexes stellte der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht (SPD) fest: „Wir werden den Kern unserer Aufgabe auf jeden Fall abarbeiten.“ Also die NSU-Verwicklungen. Er nahm seine kritische Bewertung vom Sommer ausdrücklich zurück. Damals hatte Rupprecht angesichts der langwierigen Sitzungen erklärt: „Es ist durchaus möglich, dass wir uns überhoben haben.“

nbsp;Alexander Fröhlich

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