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Brandenburg: Glatzen sind uncool

Immer mehr Jugendliche lehnen Rechtsextremismus ab / Experten: positiver Trend, aber keine Entwarnung

Hennigsdorf / Cottbus - „Jeder ist Ausländer“ steht auf den Schultaschen einiger junger Leute, die am S-Bahnhof Hennigsdorf stehen. Grüppchenweise, immer vier, fünf warten sie auf die S-Bahn. Es ist Freitagnachmittag, die Schule für diese Woche geschafft, die Stimmung entsprechend fröhlich. Auch bei den fünf Jugendlichen, die etwas abseits von den anderen ihre Witze machen. Ihre Köpfe sind kahl oder nur spärlich behaart, die Füße stecken hohen Schuhen. Keine Springer- eher Winterstiefel.

„Die sind ziemlich isoliert“. sagt der 17-jährige Alexander. Er hat die fünf schon öfter gesehen, obwohl sie nicht an seiner Schule sind. Alexander besucht in Hennigsdorf eine „Schule ohne Rassismus“. Aber nicht nur hier, wo man sich besonders mit Rechtsradikalismus auseinadersetzt, ist ein Stimmungswandel spürbar. Immer mehr Jugendliche in Brandenburg lehnen Rechtsextremismus ab. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine vom Institut für Familie-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam vorgelegte Langzeitstudie. Anfang Januar präsentierte der Leiter des Instituts, Dietmar Sturzbecher, die Ergebnisse: „1993 war nur ein Drittel der in Brandenburg befragten Jungendlichen zwischen zwölf und 20 Jahren völlig gegen Rechtsextremismus. 2005 waren es bereits 52 Prozent.“ Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) griffen die gute Nachricht dankbar auf. Endlich, so verkündeten sie, zeigten die zahlreichen Initiativen und Projekte gegen Rechtsextremismus im Land Wirkung.

Auch wenn Hans-Hartwig Lau, Mitarbeiter des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fundamentalismus, bei Politikeräußerungen eher skeptisch ist, teilt er den vorsichtigen Optimismus: „Es bleiben zwar immer noch 48 Prozent, die den Rechtsextremismus nicht völlig ablehnen, aber die Zeiten haben sich geändert. Vor einigen Jahren war es durchaus nicht unüblich, dass manche Schüler den Klassenraum mit Hitler-Gruß betraten oder lautstark damit prahlten, wie sie den Hitler-Geburtstag feierten. Das wäre heute undenkbar.“ Lau, der als Lehrer in Brandenburg arbeitet, führt das wie Sturzbecher in seiner Studie vor allem darauf zurück, dass die Mehrzahl der Schüler das dumpfe, gewaltbereite Gehabe ablehnt. Rechts zu sein, sei einfach „uncool“ – auch weil andere Jugendkulturen als spannender empfunden würden.

Das hat auch Klaus Farin festgestellt. Der Leiter des Archivs der Jugendkulturen, das in Berlin seinen Sitz hat, veröffentlichte im Dezember 2005 ebenfalls eine Studie. Er befragte Jugendliche in ganz Ostdeutschland und kam zum gleichen Ergebnis wie Sturzbecher: „Rechtsextremismus ist bei der Mehrzahl der jungen Leute out, weil er langweilig ist im Vergleich zu Skateboarden oder Hiphop.“ Mit dem harten Kern der Szene habe das allerdings nichts zu tun, der sei ebenso wie die Zahl rechter Gewalttaten seit Jahren konstant geblieben.

Eine Erkenntnis, die der brandenburgische Verfassungsschutz teilt. Trotzdem freut man sich auch hier über die positive Entwicklung. Die hänge auch damit zusammen, dass der Staat und die Gesellschaft heute mehr als früher klarmache, dass sie Neonazis und gewalttätige Rechte in die Schranken weisen könne. Selbst Verbote rechter Organisationen seien dabei hilfreich.

Der Cottbuser Streetworker Roman Frank führt die auch von ihm beobachtete Abkehr vom Rechtsextremismus hingegen darauf zurück, dass die Jugendlichen generell nichts mehr mit Politik am Hut hätten: „Rechts zu sein, ist vielen einfach zu anstrengend. Wenn man da richtig dazugehören will, muss man Schulungen besuchen und sich mit Geschichte befassen. Viele wollen auch nicht darauf verzichten, beim Mexikaner oder Türken essen zu gehen. Und in der Stadt sieht man immer weniger Glatzen.“

Jeannette Bertram, eine 16-jährige Schülerin aus Cottbus sagt: „Früher haben die Rechten die Klassen dominiert. Sie galten als die Starken, die Kings. Heute sind sie für viele eher die Loser , die Deppen – Leute, die mit nichts anderem aufwarten können als mit Drohgebärden.“

So weit ist es in Hennigsdorf noch nicht: „Ich habe Freunde, die wegen der Rechtsradikalen die Schule wechselten" erzählt der 17-jährige Alexander. Und der 18-jährige Martin meint: „Es gibt immer noch drei Gruppen: die Rechten, die Linken und die Mitte, die ihre Meinung dem jeweiligem Umfeld anpasst.“

Vor allem wegen dieser Unentschlossenen warnen Jugendforscher, Lehrer und auch Politiker davor, bei den Projekten und Initiativen gegen Rechtsextremismus im Land Abstriche zu machen. „Es gibt eine leichte Tendenz gegen Rechts“, sagt Klaus Farin. „Die kann aber sehr schnell wieder kippen.“ Zumal die rechten Führungskräfte sich durchaus darauf einstellen würden. So seien die von NPD-Anhängern verteilten CDs nicht mehr offen rechtsextrem, sondern transportierten die Botschaften eher subtil. Und – dem jeweiligen Trend entsprechend – auch mit Hiphop.

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