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Im Zentrum der Auseinandersetzungen: Flughafenchef Karsten Mühlenfeld.

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Flughafen BER: Machtkampf um BER-Chef wird zum Desaster

In der Krisensitzung zum Berliner Flughafen drohen vier Aufsichtsräte mit Rücktritt, darunter der Regierende Bürgermeister Müller. Ex-Bombardier-Chef Clausecker soll Favorit auf die Mühlenfeld-Nachfolge sein.

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Schönefeld/Berlin/Potsdam - Die Führungskrise um den künftigen Flughafen der Hauptstadtregion ist dramatischer als bisher bekannt: Nach Informationen dieser Zeitung suchen Berlin und der Bund deshalb nun auf Hochtouren nach einem Nachfolger für BER-Chef Karsten Mühlenfeld. Und zwar wieder nach einem externen Fachmann. Ein Favorit soll der frühere Bombardier-Chef Michael Clausecker sein, der bereits 2015 bei Nachfolge für Hartmut Mehdorn in der engeren Wahl war und inzwischen Vorstand der Rheinbahn ist. Brandenburg hatte damals Mühlenfeld durchgesetzt. Auch andere Namen sind im Gespräch. Die Entscheidung, wie es im BER-Management weitergeht, soll am Montag fallen. Dann wird der Aufsichtsrat unter Vorsitz des Berliner Regierenden Michael Müller (SPD) erneut tagen.

In der Nacht zum Donnerstag war eine Krisensitzung des Aufsichtsrats zur Ablösung von Flughafenchef Mühlenfeld, die Berlin und der Bund nach wie vor wollen, ergebnislos unterbrochen worden. Wie aus Aufsichtsratskreisen bestätigt wird, hatten in der Sitzung der Aufsichtsratschef, Berlins Regierender Michael Müller (SPD), die Bundesvertreter Rainer Bomba (CDU) und Werner Gatzer, aber auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) mit dem Rückzug aus dem Aufsichtsrat gedroht, falls Mühlenfeld nicht entlassen wird.

In dem Kontrollgremium gab es eine Mehrheit von 16 Stimmen für eine Entlassung Mühlenfelds vonseiten Berlins, des Bundes und der Arbeitnehmer. Brandenburg, das vier Stimmen hat, hielt und hält dagegen weiter an Mühlenfeld fest. Ein Hauptargument der Brandenburger in der Sitzung sind die Risiken für das BER-Projekt. Zu einer Abstimmung kam es nicht, weil weder der Bund, noch Berlin den Antrag stellte. Den Berliner Vorschlag, Berlins Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup als Interimschef am Flughafen einzusetzen, hatten die Brandenburger strikt abgelehnt.

Nach einer fast siebenstündigen Sondersitzung des Aufsichtsrates dokumentierten ein paar dürre Zeilen, verschickt von der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB), kurz nach Mitternacht um 0.27 Uhr das ungeklärte Drama: „Der Aufsichtsrat hat seine Sondersitzung nach ergebnisoffener Diskussion unterbrochen“, stand da. „Die Beratungen werden am Montag, 6. März 2017, fortgesetzt.“ Nein, keine Pressekonferenz. Der Abflug von Flughafenmanager Mühlenfeld vom BER, auf den vor allem der Bund und Berlin drängen, verzögert sich.

Wie sind die Frontlinien im Konflikt um das BER-Spitzenpersonal?

Eigentlich stehen die Mehrheiten, um den 2015 zum Flughafen geholten Industriemanager Karsten Mühlenfeld zu entlassen. „16 zu 4“ – so wird es beschrieben. Mit 16 als sicher geltenden Stimmen: vier aus Berlin, zwei des Bundes und den zehn Arbeitnehmervertretern. Brandenburg – mit vier Mandaten im Aufsichtsrat – dagegen lehnt eine Entlassung Mühlenfelds nach wie vor ab. Und begründet das Nein mit dem Risiko für das Milliardenprojekt, dessen Eröffnungstermin ungewiss ist. Berlin und der Bund sehen keine gemeinsame Basis mit Mühlenfeld mehr, vor allem wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses, wie es heißt.

Anlass dafür war vor allem die Freistellung von Technikchef Jörg Marks, den Mühlenfeld gegen Warnungen aller BER-Eigner und der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat durch den früheren Bahn-Manager Christoph Bretschneider ersetzt hatte. Eine Pflichtverletzung beim Bretschneider-Vertrag, die einen Rauswurf begründen würde, konnte man Mühlenfeld allerdings nicht nachweisen. Und im Aufsichtsrat leiste er Abbitte, dass er sich ungeschickt verhalten habe. Allein: Seine Kritiker nahmen es ihm nicht ab.

Warum kam es nicht zur Ablösung Mühlenfelds?

Es gab am Ende keinen, der in der Aufsichtsratssitzung den Antrag dazu stellte. Der Bund tat es nicht – obwohl der Bund die Sondersitzung hatte einberufen lassen. Und auch Müller selbst schreckte nach Teilnehmerangaben am Ende davor zurück, es im Konfrontationskurs gegen die Brandenburger durchzuziehen – zumal es bislang keinerlei Klärung der Nachfolge gibt, wer das Unternehmen künftig statt Mühlenfeld führen soll. Vor allem um diese Frage wird in den nächsten Tagen gerungen, gestritten, sondiert.

Lenkt Brandenburg vielleicht ein?

Das ist nicht wahrscheinlich. Am Donnerstag informierte Brandenburgs Flughafenkoordinator Rainer Bretschneider im Landtag in einer kurzfristig anberaumten Runde die Abgeordneten des BER- Sonderausschusses über die aktuelle Lage. Und nicht nur Brandenburgs Regierung, auch das Parlament hält parteiübergreifend nichts von einer Ablösung des Flughafenchefs. Der Potsdamer Regierungssprecher Florian Engels sagte, man habe über das weitere Verfahren Stillschweigen vereinbart: „Die Situation darf durch öffentliche Äußerungen nicht weiter belastet werden.“

Könnte es eine Übergangslösung geben?

In der Sitzung hat Berlins Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup angeboten, dass er kommissarisch die Geschäftsführung übernehmen würde, bis ein neuer Flughafenchef gefunden ist. Das kollidiert allerdings schon aus Compliance-Gründen mit dem Aufsichtsratsvorsitz von Müller. „Das geht gar nicht“, sagte dazu Brandenburgs Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Das Modell „weißer Ritter“ – einer Berliner Doppelspitze am BER – ist für die Brandenburger völlig inakzeptabel, durchaus eine Provokation. Zum einen, weil dabei von vornherein das Risiko bestünde, dass diese Übergangs- zur Dauerlösung würde. Zudem habe Lütke Daldrup ständig „Brandenburg-Bashing“ betrieben, etwa gegen die Genehmigungsbehörde des Landkreise Dahme-Spreewald, heißt es.

Könnte noch einmal ein Manager aus der Wirtschaft kommen?

Die Chancen, dass sich ein erfahrener Manager aus der Wirtschaft zur Übernahme des BER-Schleudersitzes bereit erklärt, sind mit den aktuellen Turbulenzen nicht größer geworden. Dem Vernehmen nach wird zurzeit etwa bei Michael Clausecker sondiert, dem früheren Bombardier-Chef, aktuell Chef der Rheinbahn, der 2015 Favorit des Bundes war. Auch bei anderen wird ausgelotet, ob sie zur Verfügung stünden.

Und Rainer Bomba, der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium?

Er ist seit 2010 im Aufsichtsrat. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er schon früher gern Flughafenchef geworden wäre. Als 2014/2015 ein Nachfolger für Hartmut Mehdorn gesucht wurde, hatten die Arbeitnehmer in einem Brief an die BER–Eigner Bomba vorgeschlagen. Und inzwischen stellt die Arbeitnehmerbank die Hälfte der Aufsichtsratssitze. Allerdings hat Bomba in der Krisensitzung am Mittwoch erklärt, er stehe nicht zur Verfügung. Dass das so bleibt, wenn die Suche schwierig bleibt und noch aussichtsloser wird, bezweifeln alle, die Bomba kennen.

Politisch wäre es ungewöhnlich, wenn das rot-rot-grüne Berlin und das rot-rot regierte Brandenburg ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl einen CDU-Staatssekretär zum Flughafenchef machen würden. Brandenburg lehnt Bomba ab, heißt es. Anderseits ist Bomba extrem gut vernetzt, nach allen Seiten. Und ein BER- Manager mit CDU-Parteibuch könnte für die CDU-Opposition im Abgeordnetenhaus in Berlin und im Brandenburger Landtag schwieriger zu kritisieren sein.

Wie wird Müllers Agieren in der Berliner Regierung bewertet?

„Je länger die Konflikte wabern, umso beängstigender ist die Entwicklung“, hieß es aus SPD-Koalitionskreisen. Jeder beschuldige sich gegenseitig, und es werde „nicht miteinander geredet“. Das sei „unterste Schublade“. Grüne und Linke, die mit den Senatoren Dirk Behrendt (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) im Aufsichtsrat vertreten sind, geben Müller Rückhalt – und unterstützen demnach auch dessen Position, Mühlenfeld abzulösen. Nach den rot-rot- grünen Chaostagen rund um die Personalie des kurzzeitigen Staatssekretärs für Wohnen und Stadtentwicklung, Andrej Holm, bemühen sich jetzt beide Koalitionspartner, Einigkeit zu vermitteln.

Sie betonen, dass das Grundübel beim BER ein Kommunikationsproblem zwischen den Anteilseignern sei. „Keiner hat mit einer Stimme gesprochen“, heißt es in rot-grünen Kreisen. Das Problem dürfe eben nicht nur einer Person, nämlich Müller, zugeschrieben werden. Auf die Frage, wie man nun verfahren soll, pochen Grüne und Linke darauf, weiter miteinander zu reden, um zu einer „abgestimmten Lösung unter den Anteilseignern“ zu kommen.

Was sagt die Berliner SPD?

Sie vertraut Müller. Es gibt derzeit niemanden, der auch nur hinter vorgehaltener Hand einen Rückzug von Müller aus dem Aufsichtsrat fordert – schon gar nicht, solange Grüne und Linke mit Senatoren dort vertreten sind. Warum Mühlenfeld auf der Sondersitzung entgegen des Plans nicht abgelöst worden ist, wollen die Genossen aber erklärt bekommen– „Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen können“, sagte ein SPD-Spitzenmann, der damit ausdrücklich auch den Bund meinen will.

Ob Engelbert Lütke Daldrup als Interims-Flughafenchef die bessere Lösung gewesen wäre, bezweifeln einige SPD-ler. Der Flughafenkoordinator ist ein enger Vertrauter von Müller, gilt als anerkannter Fachmann, aber nicht als grandioser Kommunikator. Der Ärger verlagert sich auf die fehlende Kooperation der Brandenburger Genossen: Manche unken schon, dass das Tischtuch zwischen Berlin und Brandenburg jetzt „auf Jahrzehnte“ zerrissen sei.

Und die Opposition?

Der Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus, CDU-Fraktionschef Florian Graf, fordert den sofortigen Rücktritt von Michael Müller. „Alles was unter Müller seit zwei Jahren läuft ist Stillstand, Rückschritt, Personalwechsel – nur eben keine Erfolgsmeldung“, sagte Graf dem Tagesspiegel. Müller sei unentwegt damit beschäftigt zu erklären, „ob und wenn ja, was er über die Abläufe an Deutschlands peinlichster Großbaustelle weiß“. Seine Aufsichtsratsführung habe sich als „katastrophal“ erwiesen. Die Berliner CDU vertritt seit Jahren die Position, dass an der Spitze des BER-Aufsichtsrats Experten und keine Politiker sitzen sollten. Unter Rot-Schwarz war der frühere CDU- Parteichef und Innensenator Frank Henkel Aufsichtsratsmitglied.

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja fordert ein Ende des politischen Kräftemessens der drei Anteilseigner: „Wenn man Muskelspiele machen will, sollte man in eine Muckibude gehen.“ Was beim BER ablaufe, gehe zu Lasten der Steuerzahler. Müller fehle jegliche Führungskompetenz. So eine Baustelle brauche „Kontinuität und Sachverstand, nicht noch weitere politische Akteure an der Spitze“.

Wie geht es nun weiter?

Der Aufsichtsrat tagt nächsten Montag wieder. Mühlenfeld dürfte mit dem Misstrauensvotum von zwei Eignern am Ende nicht zu halten sein, obwohl es an seinem Management der Flughafengesellschaft selbst kaum Kritik gab und er den BER vorangebracht hat. Er kann nach seinem bis 2020 laufenden Vertrag mit einer Abfindung zwischen 1 und 1,5 Millionen Euro rechnen und ist dann ein weiterer teurer Spaziergänger. Ob es gelingt, in so kurzer Zeit eine mit den anderen Eignern einvernehmliche Nachfolgelösung zu erreichen oder eine neue Konstruktion, ist völlig offen. Berlin strebe das an, heißt es.

Michael Müller kann es beweisen.

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Die Krisensitzung hat alles nur schlimmer gemacht. Warum Michael Müller beschädigt ist - und der Flughafen auch 2018 nicht eröffnen wird. Ein Kommentar.

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