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Mondlandschaft. Der Energiekonzern Vattenfall will in der Lausitz weitere Tagebaue eröffnen.

© dpa

Braunkohle in Brandenburg: Vattenfalls neue Rekorde

Der Energiekonzern verzeichnet für 2013 erneut einen Anstieg bei Braunkohleabbau und -verstromung. Ab Dienstag startet die Anhörung für einen neuen Tagebau. Doch es gibt verfassungsrechtliche Bedenken

Potsdam - Brandenburg wird damit wohl seine Klimaschutzziele kaum einhalten können: Der Energiekonzern Vattenfall verbrennt immer mehr Braunkohle in seinen Kraftwerken – und stößt damit auch immer mehr Kohlendioxid (CO2) aus. In dieser Hinsicht ist das auslaufende Jahr 2013 erneut ein Rekordjahr. So verkündete es Vattenfall-Vorstandschef Hartmuth Zeiß gerade Mitte dieser Woche in Cottbus. Bis Jahresende wird Vattenfall 63 Millionen Tonnen Rohbraunkohle in der Lausitz aus seinen Tagebauen geholt und damit in seinen Kraftwerken 57 Terawattstunden Strom erzeugt haben. Im Vorjahr waren es eine Million Tonnen Kohle und zwei Terawattstunden Strom weniger.

Und Vattenfall will noch mehr. Am Dienstag beginnt in Cottbus das öffentliche Erörterungsverfahren für den geplanten Tagebau Welzow Süd II. Die für drei bis vier Tage angesetzte Veranstaltung wird von breiten Protesten von Landwirten, Umweltinitiativen und Politikern begleitet. Es geht nicht nur um die Klimaschutzziele und um die dreckige Kohleverstromung. Es geht auch um Dörfer, die abgebaggert werden sollen, um 800 Menschen, die umgesiedelt werden sollen – und um eine Richtungsentscheidung für die Zukunft der Lausitz. Seit Monaten herrscht deshalb ein rauer Ton zwischen Gegnern und Befürwortern der Kohle.

Hinzu kommt: Das Bundesverfassungsgericht wird am 17. Dezember vermutlich eine Grundsatzentscheidung zu Tagebauen fällen. Karlsruhe hatte im Juni die in den Vorinstanzen jeweils abgelehnten Klagen eines Privatmannes und des Verbands BUND gegen den Tagebau Garzweiler mündlich verhandelt. Allein dass sich das oberste deutsche Gericht derart damit befasst, gilt bei Experten beider Seiten, Kohlegegner und Befürworter, als Zeichen, dass die Richter die aufgeworfenen Fragen überaus ernst nehmen. Der Kläger aus Immerath sieht durch den Tagebau sein Grundrecht auf Freizügigkeit verletzt. Denn dieses umfasse auch das Recht, am bisherigen Aufenthalt zu bleiben und sogar ein „Recht auf Heimat“. Zudem urteilt Karlsruhe über die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung für einen neuen Tagebau.

Die Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg aber will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht abwarten. Am Donnerstag beantragte der frühere Lausitzer Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic bei der Landesplanungsbehörde noch, die Anhörung in Cottbus zu vertagen. Am Termin trotz der zu erwartenden Grundsatzentscheidung aus Karlsruhe festzuhalten, käme einem „verfassungsrechtlichen Blindfllug“ gleich, sagte Neskovic den PNN. Zumal das „Recht auf Heimat“ bislang im Braunkohleplanverfahren für Welzow Süd II keine Rolle spielte. „Es ist sogar nicht auszuschließen, dass das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtlichen Hürden für den Braunkohletagebau, der mit einer Umsiedlung von Menschen verbunden ist, so hoch setzt, dass Vattenfall seinen Antrag zurückzieht, weil die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts nicht erfüllbar und unwirtschaftlich wären“, heißt es in dem Antrag von Neskovic. Aber auch formal juristisch ist ein Urteil aus Karlsruhe für das Welzow-Verfahren von Belang: Denn die zu erwartenden neuen verfassungsrechtlichen Maßstäbe für Tagebaue müssten berücksichtigt werden. Findet jedenfalls Neskovic, der immerhin Bundesrichter am Bundesgerichtshof war.

Doch die zuständige Landesplanungsbehörde in Cottbus sieht das völlig anders. Der zuständige Referatsleiter Klaus Weymann lehnte den Antrag Neskovics ab. Die schlichte Begründung: Alle Fragen, die auch in Karlsruhe, also vor dem Bundesverfassungsgericht, eine Woche später eine Rolle spielen, würden ohnehin unter dem Tagesordnungspunkt zu allgemeinen Grundsätzen der Umsiedlungen und der Sozialverträglichkeit behandelt. Die Frage, welchen Schutz ein in der Verfassung besonders geschütztes Grundrecht bei Tagebauvorhaben genießt, soll dann ab Dienstag in den Cottbuser Messehallen erörtert werden – und sieben Tage später in Karlsruhe.

Eigentlich müsste die Gemeinsame Landesplanung in rechtlichen Fragen besonders sensibel sein. Denn die Veranstaltung in den Messehallen von Cottbus ist ein zweiter Versuch, das gesamte Verfahren zur öffentlichen Beteiligung und Anhörung musste wiederholt werden, weil die Planunterlagen für den Tagebau einfach unzureichend waren. Nach der Anhörung im Herbst 2012 stand fest, dass bis dahin die energiewirtschaftliche Notwendigkeit für den Tagebau überhaupt nicht begründet wurde. Der Plan wurde nachgebessert und die Landesregierung legte zwei konträre Gutachten zu dieser Frage vor: das Wirtschaftsministerium eines, in dem der Klimaschutz keine Rolle spielt. Das Umweltressort eines, dass die Klimafrage berücksichtigt.

Im Sommer dann wurden die Tagebaupläne drei Monate ausgelegt. Insgesamt 190 000 Einwendungen liegen für die Erörterung in Cottbus vor, darunter sind auch die Listen mit 120 000 Unterschriften von Kohlegegnern und 60 000 Unterschriften von Kohlebefürwortern.

Die Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern der Kohle sind seit Monaten verhärtet, die Stimmung gereizt. Selbst das Innenministerium musste eingreifen, wegen eines Verstoßes gegen die Neutralitätspflicht mancher Kommunalverwaltungen – weil das in Brandenburg von der regierenden SPD unterstützte Pro-Kohle-Bündnis aus Wirtschaft und Gewerkschaften, das vor dem Verlust Tausender Jobs warnt, Unterschriftenlisten in Behörden auslegte, oft nur wenige Meter von den Unterlagen zum Tagebau.

Inzwischen ist die Stimmung so angespannt, dass kurz hinter der Landesgrenze in Sachsen, wo Vattenfall den Tagebau Nochten II eröffnen will, die Briefkästen und ein dauerhaft aufgestelltes Protestschild von Kohlegegnern gesprengt wurden. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund, der Staatsschutz ermittelt. Der Verein Pro Lausitzer Braunkohle, der die Kampagne für Welzow Süd II führt und kräftig Werbung für Vattenfall und Braunkohle macht, hatte Kohlegegner als Ökotouristen bezeichnet. In einem offenen Brief kritisieren Lausitzer Kommunalpolitiker, Bürgerinitiativen, Wissenschaftler und Landespolitiker nun, der Lobbyverein schüre systematisch Vorurteile gegen Andersdenkende.

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