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Protest gegen den geplanten Ministeriumsumzug  von Potsdam nach Cottbus.

© Ottmar Winter/PNN

Brandenburgs Wissenschaftsministerium: Ex-Minister können Umzugspläne nach Cottbus nicht nachvollziehen

Brandenburgs Wissenschaftsministerium soll von Potsdam nach Cottbus umziehen. Alle früheren Minister halten nichts davon.

Potsdam - In Brandenburg gerät SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke wegen der jüngsten Entscheidung, das Wissenschafts-, Forschungs- und Kulturministerium (MWFK) aus der Landeshauptstadt nach Cottbus umziehen zu lassen, weiter unter Druck. Seitdem der Umzug vom rot-roten Kabinett vorige Woche – nur viereinhalb Monate vor der Landtagswahl – überraschend beschlossen wurde, geht die 150-köpfige Belegschaft auf die Barrikaden. So wird seit Tagen mit einem Spruchband an der Fassade des Ministeriums in der Dortustraße, aufgehängt aus Bürofenstern heraus, offen gegen die Entscheidung des Kabinetts und der eigenen Ministerin Martina Münch (SPD) protestiert. Im Hause läuft eine Protest-Unterschriftensammlung, liegen an vielen Stellen die Listen aus, mit erkennbar reger Beteiligung.

Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch (SPD).
Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch (SPD).

© Soeren Stache/dpa

Unterstützung kommt nun auch von allen früheren Kultur- und Wissenschaftsministern Brandenburgs seit 1990, egal mit welchem Parteibuch, die auf PNN-Anfrage mit Unverständnis, Kopfschütteln und Skepsis auf die geplante Verlegung des Ministeriums reagierten.

Wanka: "So etwas kommentiert sich von selbst"

Nicht nachvollziehen kann einen Zwangsumzug nach Cottbus etwa Ex-Ressortchefin Johanna Wanka (CDU), die das Ministerium von 2000 bis 2009 gelenkt hatte und später Bundesministerin war. „So etwas kommentiert sich doch von selbst“, sagt Wanka. 

Johanna Wanka (CDU), ehemalige Kulturministerin Brandenburgs, kann den Umzug von Potsdam nach Cottbus nicht nachvollziehen.
Johanna Wanka (CDU), ehemalige Kulturministerin Brandenburgs, kann den Umzug von Potsdam nach Cottbus nicht nachvollziehen.

© Kay Nietfeld/dpa

Ex-Ministerin Sabine Kunst (SPD), die 2011 bis 2016 auf diesem Posten wirkte und inzwischen Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität ist, nennt die Entscheidung „erstaunlich“. Sie könne den Ansatz zwar verstehen, dass Wissenschaft und Kultur stärker als bisher landesweit wichtige Handlungsfelder sein sollten. Doch zugleich macht Kunst aus ihren Bedenken keinen Hehl, dass ein Sitz in Cottbus für die Arbeitsfähigkeit des Ministeriums, für die operativen Abläufe und Erfordernisse, nicht zuträglich wäre. Nach ihren Erfahrungen sei die Berlin-Nähe gerade für das Wissenschaftsministerium von Vorteil, „weil viele Dinge mit dem Bund geklärt werden müssen“, so Kunst.

Reiche: "Diese Entscheidung ist nicht nachhaltig"

Vorige Woche hatte bereits der frühere Wissenschafts- und Bildungsminister Steffen Reiche, der in den 1990er Jahren auch SPD-Landeschef war, in einem Meinungsbeitrag in den PNN den Umzugsbeschluss der Woidke-Regierung gegeißelt: „Diese Entscheidung ist nicht nachhaltig, denn dieser Aktionismus wird nach den Wahlen wieder kassiert werden. Unter den Blinden ist der Einäugige König.“ 

SPD-Politiker Steffen Reiche.
SPD-Politiker Steffen Reiche.

© Rainer Jensen dpa

Woidke und Linke-Finanzminister Christian Görke begründen die Verlegungen – parallel soll der Landesforstbetrieb von Potsdam nach Eberswalde umziehen – strukturpolitisch. Etwa mit der nötigen Stärkung der Lausitz, um den Ausstieg aus der Braunkohle zu kompensieren. „Ich glaube nicht, dass man mit der Verlegung eines Ministeriums eine Region aufwertet. Dafür müssen ganz andere Dinge passieren“, widerspricht Ex-Minister Hinrich Enderlein (FDP), der 1990 bis 1994 in der damaligen Ampel-Regierung von SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe das Ministerium aufgebaut hatte. „Das riecht sehr stark nach Symbolpolitik und Aktionismus.“ Auch Enderlein ist überzeugt davon, dass das „keinen Bestand haben wird“.

Hackel: "Eine Regierung sollte zusammenbleiben"

Und Ex-Wissenschaftsminister Wolfgang Hackel (CDU), der 1999/2000 auf diesem Posten war, sagt: „Eine Regierung sollte zusammenbleiben.“ Man regiere nicht besser, wenn man die Ministerien übers Land verteile. Das sei auch für die Zusammenarbeit mit dem Parlament und innerhalb der Regierung kontraproduktiv. Aber womöglich, so vermutet Hackel, habe Ministerpräsident Woidke inzwischen Schwierigkeiten, selbst seinen Wahlkreis in der Lausitz wieder zu gewinnen, so dass er auf diese Weise versuche, vor Ort zu punkten.

Nach dem Kabinettsbeschluss soll der Umzug des Wissenschaftsministeriums nach Cottbus bis 2023 vollzogen werden. Die Planungen dafür beginnen jetzt erst, was Erinnerungen an die zu Beginn der Legislaturperiode ähnlich überstürzt gestartete und vermurkste Kreisgebietsreform weckt, die Woidke voriges Jahr absagen musste. Beschlüsse mit Finanzauswirkungen liegen ohnehin in der Hoheit des neuen Landtages. 

SPD und Linke, die in Brandenburg seit 2009 regieren, haben seit vorigem Jahr nach Umfragen keine eigene Mehrheit mehr. Eine dritte Neuauflage von Rot-Rot nach der Wahl am 1. September scheint nahezu ausgeschlossen. Die Kritik an den Umzugsplänen kommt auch aus den Reihen der SPD. In der Landtagsfraktion haben inzwischen die Potsdamer Abgeordnete und Ex-Generalsekretärin Klara Geywitz, aber auch die Abgeordneten Ulrike Liedtke und Britta Müller Unverständnis geäußert. Und im Ministerium findet sich unter den Protestunterschriften auch die von Sarah Zalfen – sie leitet das Büro der Staatssekretärin und ist in Potsdam Vorsitzende des SPD-Ortsverein Mitte/Nord, mit 320 Mitgliedern der größte in Brandenburg.

Neubau in Cottbus würde zehn Millionen Euro kosten

Die Pläne werden sicher auch nächste Woche Thema sein, wenn der Finanzausschuss tagt. Nach der Landeshaushaltsordnung ist ein Wirtschaftlichkeitsnachweis vor finanzwirksamen Entscheidungen solcher Tragweite vorgeschrieben. Geywitz hat inzwischen eine parlamentarische Anfrage gestellt, wann, von wem und mit welchem Ergebnis diese Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgenommen wurde. 

Die Antwort dürfte nicht so einfach sein. Das MWFK ist vergleichsweise günstig als Mieter bei der landeseigenen Stiftung „Großes Waisenhaus“ untergebracht. Für die rund 5612 Quadratmeter inklusive Stellplätze sind laut Haushalt pro Jahr 838 000 Euro Miete ausgewiesen, was einer Quadratmetermiete von zwölf Euro entspräche. Allein für einen Neubau in Cottbus sind bisher grob Kosten von zehn Millionen Euro kalkuliert worden.

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Der Ministeriumsumzug ist nicht zu Ende gedacht. Brandenburgs Landesregierung plant, das Wissenschaftsministerium aus Potsdam nach Cottbus zu verlegen. Das ist als Signal an die Lausitz gedacht, trifft aber das falsche Ministerium. Ein Kommentar >>

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