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Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad hatte im April eine berührende Rede im Brandenburger Landtag gehalten. 

© Andrew Harnik/AP/dpa

Brandenburg will Jesiden aufnehmen: Warten auf das Versprechen für Nadia Murad

Brandenburg wird jesidische Frauen aufnehmen – das versprach der Brandenburger Landtag der Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, die hier im April 2017 eine bewegende Rede hielt. Geschehen ist seither wenig.

Von Sandra Dassler

Potsdam - "Die IS-Leute haben meine Mutter immer wieder vergewaltigt. Weil sie die Koranverse nicht richtig konnte, wurde meine kleine Schwester vor ihren Augen langsam getötet. Dann kamen sie zu mir ...“ Es waren Berichte wie diese, die Abgeordnete des Brandenburger Landtags einstimmig beschließen ließen, dass das Land jesidischen Frauen und Kindern helfen und einen Teil von ihnen auch aufnehmen solle. Doch das ist auch knapp zwei Jahre später noch nicht geschehen. „Wir sind dabei, verfolgte Jesiden im Land aufzunehmen“, sagte Brandenburgs Staatskanzleichef Martin Gorholt (SPD) dieser Zeitung: „Es war nie strittig, dass wir das tun wollen, es ging vielmehr um die Frage, wie wir es tun können.“

Allerdings dauert die Beantwortung dieser Frage schon quälend lange. Obwohl es – trotz Tausender Opfer – nur um vergleichsweise wenige Personen geht. Das jedenfalls erfuhr die Öffentlichkeit vor zwei Wochen, als Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) der Jesidin Nadia Murad zur Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis gratulierte.

Woidke: Wir arbeiten daran, 60 Jesiden Aufnahme in Brandenburg zu ermöglichen

Woidke erinnerte dabei an die „eindrucksvolle Rede von Nadia Murad am 5. April 2017 im Landtag Brandenburg“, die ihn und viele andere sehr berührt habe. Das Land Brandenburg stelle sich seiner Verantwortung, Opfern kriegerischer und sexueller Gewalt zu helfen, und fördere mehrere Hilfsprojekte in der Region, sagte Woidke: „Und wir arbeiten nach wie vor daran, etwa 60 Jesidinnen und Jesiden eine Aufnahme in Brandenburg zu ermöglichen.“

Als Woidke noch hinzufügte, dass Murad „durch ein ähnliches Projekt wie unser Landesaufnahmeprogramm 2015 nach Baden-Württemberg gekommen sei“, klang das für manche Abgeordnete fast schon zynisch. Wenn sich Baden-Württemberg mit der Aufnahme von damals 1000 Jesiden ähnlich viel Zeit gelassen hätte wie Brandenburg, wäre Nadia Murad wahrscheinlich nie gerettet worden, sagen sie. Und dass es beschämend peinlich sei, wenn ein Versprechen, das man auch noch anderen Vertretern der Jesiden gegeben habe, nicht erfüllt werde.

Seit 2016 ist nichts passiert

„Das Grundproblem ist, dass ein Jahr lang nach dem Landtagsbeschluss von Ende 2016 gar nichts passierte“, sagt Linken-Abgeordnete Andrea Johlige. Jetzt kümmere sich die Landesregierung mit Staatssekretär Martin Gorholt zwar um die Durchsetzung des damals einstimmig gefassten Beschlusses, da man aber viele gute Ratschläge von Leuten, die sich mit der Situation in Nordirak auskennen, nicht berücksichtigt habe, sei das schwierig.

In Potsdam verweist man hingegen darauf, dass Brandenburg nicht die finanziellen und personellen Möglichkeiten habe wie Baden-Württemberg. „Außerdem sind die politischen Rahmenbedingungen sowohl vor Ort als auch in Deutschland andere als damals“, sagt Martin Gorholt: „Heute muss man sich sowohl mit der irakischen Regierung, der kurdischen Regionalvertretung, den jesidischen Vertretern und der Bundesregierung abstimmen.“ Die Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium für das vom Land erarbeitete Aufnahmeprogramm stünden kurz vor dem Abschluss, heißt es aus der Staatskanzlei.

Schwierigkeiten bei den Dokumenten

Man habe bei einem Besuch im Irak auch mit den Behörden vor Ort gesprochen und die hätten Hilfe zugesichert. Trotzdem sei es oft nicht einfach, die für die Visaverfahren erforderlichen Dokumente zu besorgen.

Außerdem erfolge die Auswahl der betroffenen Frauen, Kinder und Männer in Zusammenarbeit mit internationalen Hilfsorganisationen wie dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), die damit gute Erfahrungen hätten. Andrea Johlige ist da anderer Ansicht. „So sehr ich die Arbeit dieser Organisationen schätze, das Land hätte sehr wohl auch selbst die Auswahl treffen können.“

Holger Geisler, ehemaliger Sprecher des Zentralrats der Jesiden, wird noch deutlicher: Die UNHCR dürfe die Flüchtlinge gar nicht nach den Kriterien auswählen, die der brandenburgische Landtag beschlossen habe, sagt er. „Allerdings wäre es kein Problem und auch kein großer finanzieller und personeller Aufwand, diese Aufgabe jemandem zu übertragen, der entsprechende Erfahrungen hat wie beispielsweise der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, der das Aufnahmeprogramm von Baden-Württemberg begleitete und sich oft im Nordirak aufhält. „Hier geht es ja nicht um 1000, sondern nur um maximal 60 Menschen“, so Geisler. „Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass man die Genehmigung des Innenministeriums, wenn es denn tatsächlich daran liegt, nicht beschleunigen kann. Schließlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich Nadia Murad in den Arm genommen und versprochen, ihr und ihren jesidischen Leidensgenossinnen mit aller Kraft zu helfen.“

Viele Jesiden seien wahrscheinlich noch versklavt

Insgesamt sind etwa 2500 jesidische Frauen und Kinder aus den Fängen des IS befreit worden. Wahrscheinlich ebenso viele seien noch versklavt. „Wenn Baden-Württemberg allein mehr als 1000 aufgenommen hat, sollte doch die Bundesrepublik in der Lage sein, 5000 Menschen eine neue Heimat und eine Zukunft zu geben“, sagt Geisler. Deshalb freue er sich bei aller Kritik über das Bemühen von Brandenburg, zumal sich Berlin und Bremen jetzt anschließen wollten. „Andere Bundesländer, darunter auch sehr reiche, tun gar nichts“, sagt Geisler.

Das findet auch Andrea Johlige, die sich in diesem Punkt einig mit den Mitgliedern aller Fraktionen bis auf die AfD weiß. „Wir werden nicht lockerlassen“, sagt die Abgeordnete der Linken und wird dabei unter anderem von Dieter Dombrowski (CDU) sowie von Ursula Nonnemacher und Axel Vogel (Bündnis 90/Grüne) unterstützt. „Eigentlich könnten die Frauen sofort kommen, denn die Gebäude zur Aufnahme stehen längst bereit.“

Nicht alle jesidischen Flüchtlinge wollen nach Deutschland

Das wird freilich nicht genügen, meint Holger Geisler. „Die oft traumatisierten Flüchtlinge brauchen auch psychologische Betreuung und eine jesidische Gemeinde, bei der sie Heimat finden.“

Das habe man in Potsdam durchaus im Blick, sagt Martin Gorholt. Genau wie die Tatsache, dass nicht alle jesidischen Flüchtlinge nach Deutschland wollten, sondern am liebsten zurück in ihre Dörfer im irakischen Sindschar-Gebiet. Deshalb unterstütze Brandenburg auch Projekte vor Ort wie etwa ein Frauen- und Jugendgemeinschaftszentrum und ein Übergangswohnheim für jesidische Frauen mit Kindern, die oft aus Vergewaltigungen stammen. Die würden oft nicht einmal von den eigenen Familien als Jesiden anerkannt, was ihre Mütter unter ungeheuren Druck setze. Um sie zu schützen, würde man nur wenig über das erst seit Kurzem eröffnete Übergangsheim berichten.

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