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Das Trennende überwinden, Respekt zeigen – das ist die Rolle, in der sich Ingo Senftleben gerne sieht.

© imago/Martin Müller

Absage an die AfD: Warum Brandenburgs CDU-Chef über eine Koalition mit den Linken nachdenkt

Ingo Senftleben will als erster CDU-Mann Ministerpräsident von Brandenburg werden. Dazu muss er eine Brücke zur Linkspartei bauen – allen Widerständen zum Trotz.

Potsdam - Das Reizthema vermied er diesmal. Dafür schlug Ingo Senftleben bei seinem Auftritt am Sonntag beim Familienfest der märkischen Union in Kremmen grundsätzliche Töne an: „Wir erleben gerade eine Atmosphäre, eine Stimmung in Deutschland, die mich nachdenklich stimmt.“ Das politische Klima vor der Brandenburg-Wahl im kommenden Jahr werde immer aufgeheizter. „Was wird sein, wenn meine Kinder erwachsen sind? Haben sie immer noch die Möglichkeit, in einem freien Land aufzuwachsen?“ Und: „Das Wichtigste, was unser Gesellschaft momentan fehlt, ist Respekt untereinander. Jeder hat Respekt verdient.“

Respekt erweisen, Brücken bauen, das Trennende überwinden – das ist die Rolle, die Ingo Senftleben für sich in Anspruch nimmt. Wenn er sie glaubwürdig ausfüllen kann, wird er vielleicht der nächste Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Wenn. 

Womit der designierte CDU-Spitzenkandidat durch die Lande zieht, hat einen harten machtpolitischen Grund. Will er Dietmar Woidke im September 2019 tatsächlich ablösen, dann muss er eine Brücke bauen, über die vor ihm noch kein Unionspolitiker auf Landesebene gegangen ist – eine Brücke zur Linkspartei.

Regieren mit der Linken? Senftleben bleibt bei seiner Position

Kann dieser Tabubruch gelingen? Senftleben arbeitet daran. Warum sonst hat er im April eine Koalition seiner CDU mit der Linken nicht mehr ausgeschlossen – und damit empörte Reaktionen aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus ausgelöst? Geschadet hat ihm das nicht. Denn nach der prompten Zurechtweisung von Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ging die Debatte erst richtig los. Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther sprang ihm bei. Schon einmal waren beide übrigens im Duett, als sie sich in der Union für die „Ehe für alle“ aussprachen, als Erste.

Nein, sagt Senftleben, es habe „keine Absprache“ gegeben. Wenn man weiß, wie der andere tickt, braucht man keine Verabredung. Dann unterzeichneten im Kreis Ostprignitz-Ruppin jüngst CDU und Linke eine Koalitionsvereinbarung, was Jan Redmann, parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion und Senftleben-Vertrauter, mit eingefädelt hatte. Und Senftleben? Er blieb, in Interviews, bei Auftritten im Land, bei seiner Position. Kein Zurückrudern, kein Relativieren.

Wer ist dieser Mann, der 2019 als erster CDU-Regierungschef in einer Koalition mit Linken der SPD die Macht in ihrem ostdeutschen Stammland abjagen könnte? Der 44-Jährige hat jedenfalls keine stromlinienförmige Politikerkarriere hinter sich, die sich auf die Stationen Politikstudium, Referenten, Abgeordneter beschränkt. Senftleben hat Maurer gelernt, später Hochbautechnik studiert, auf dem Bau gearbeitet. Die Geschichte, wie er in den 90er Jahren jene Autobahnbrücke bei Schönefeld baute, er der junge Vorarbeiter auf der einen Seite, sein Vater als Vorarbeiter auf der anderen, wird man im Wahlkampf sicher oft hören.

Direktmandat für den Landtag mit gerade 25 Jahren

In die CDU war er 1997 eingetreten, mit 23 Jahren, „wegen Helmut Kohl“, gegen den Strom. Nur zwei Jahre später kandidierte er für den Landtag – und holte auf Anhieb das Direktmandat. Wie bei allen Landtagswahlen danach. Und während sich Senftleben im Parlament als Bildungspolitiker profilierte, lenkte er elf Jahre als ehrenamtlicher Bürgermeister die Geschicke seiner Heimatstadt Ortrand. Auch das prägt, das erdet, auch das kommt nicht so oft vor im Land.

Eher unanfällig stieg er mit der Zeit in der Landes-CDU, in der Scharmützel blieben, aber die Vorsitzenden oft wechselten, in die engere Spitze auf. Und nach der fundamentalkonservativen Saskia Ludwig und nach Michael Schierack, der nach der Landtagswahl 2014 lieber Arzt bleiben wollte, als Minister zu werden, blieb am Ende einer übrig und das erstaunlich unbeschädigt: Ingo Senftleben, der 2014 die Fraktion und ein Jahr später dann auch den Parteivorsitz übernahm. Er ist der Zwölfte in der Union. Die Bilanz seitdem ist ziemlich bemerkenswert. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) musste seine Kreisgebietsreform absagen, nachdem die Union den Widerstand anführte und nebenbei die eigene Kampagnenfähigkeit für die Wahl 2019 trainierte. In der SPD-Zentrale sah man seit geraumer Zeit mit Sorge, wie die eigenen Kompetenzwerte sanken, die der CDU zulegten. Senftleben versucht die Union erkennbar in die Mitte zu rücken, weg vom kalten Image als „Law and Order“- und Wirtschaftspartei. Vor allem aber schaffte er es, dass der Landesverband – anders als Sachsen – in der Flüchtlingskrise geschlossen hinter der Kanzlerin stand. Das lange Jahre gestörte Verhältnis zum Adenauer-Haus sei seitdem wieder in Ordnung, sagt er. Immer noch? „Ja, trotz der Differenzen in einer Frage.“

Brandenburg vor der Wahl: Vier Parteien liegen in Umfragen fast gleichauf

Denn auch Brandenburg ist in Wallung, was die Ausgangslage fundamental verändert. Nach den Umfragen der vergangenen eineinhalb Jahre und den Ergebnissen der Bundestagswahl liegen im Land SPD, CDU, Linke und AfD bei Werten um die zwanzig Prozent dicht beieinander. Alles spricht dafür, dass es für klassische Zweierkoalitionen 2019 nicht reichen wird. Ja, selbst Dreierkoalitionen – außer Schwarz-Rot-Rot – könnten knapp werden. Diese Mathematik, dieser Realismus verbirgt sich hinter dem Vorstoß, den er mit dem „Plädoyer für eine andere Debattenkultur“ verbindet. Es ist sein Mantra. Wenn man hört, wie er als Regierungschef gute Ideen der Opposition aufnehmen will, klingt das nach dem „Brandenburger Weg“ der Nachwendezeit.

Er hat angekündigt, falls die CDU stärkste Partei wird, mit allen Landtagsparteien zu reden – auch mit der AfD. Noch so ein Ausreißer. Aber allein aus Respekt vor deren Wählern. Ein Koalition mit der AfD? Ausgeschlossen für ihn. „Aber wir dürfen der AfD nicht die Opferrolle schenken.“ Das sagte er, als ihn seine „Heimattour“ jetzt nach Altfriedland im Oderbruch führte. Es ist ein Zuhör- und Dialogformat, Senftleben im Gespräch. Er bereitet so den Wahlkampf vor, lotet aus, welche Themen den Leuten wichtig sind, was ankommt. In Altfriedland sprach er vor zwei Dutzend Teilnehmern seine Position zu Bündnissen mit Linken von sich aus an. „Ja, es kann vielleicht sein, es muss aber nicht sein.“ Keine Einwände, hier zumindest.

„In meinem Kreisverband ist keiner dafür“

Aber hat Senftleben auch den Rückhalt der Landes-CDU? Dass bisher niemand widerspricht, ist kein Beleg. Viele sind verunsichert, ja verstört. „In meinem Kreisverband ist keiner dafür“, sagt einer aus dem Berliner Umland. Es gibt Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Landräte, die im Fall einer Koalition mit den Linken mit Parteiaustritt drohen. Andere können seine Öffnung nachvollziehen, halten aber den Zeitpunkt für einen Kardinalfehler. Weil er nur den Eindruck, dass es allein um die Macht gehe, stärkt. Und damit die AfD. „Er hätte es nach der Wahl machen können“, sagt ein Abgeordneter.

Er kennt die Stimmen – und widerspricht entschieden. „Das ist nicht Ingo Senftleben. Ich sage vor der Wahl klar, wofür ich stehe. Wenn ich eine Koalition vorher nicht ausschließen kann, dann werde ich das auch nicht tun.“ Am Ende, so versucht er zu beruhigen, werde es eine Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag geben, egal in welchen Farben.

Es bleibt ein hochriskanter Brückenbau, mit Einsturzgefahren, schon jetzt. Gerade scheiterte der Versuch, vereint mit Linken in Ostprignitz-Ruppin einen CDU-Landrat zu wählen, trotz Koalition und angeblich klarer Mehrheit. Stattdessen siegte, per Los, der SPD-Amtsinhaber. Das wird nachwirken. Nur einmal, in Altfriedland, blitzte Unsicherheit bei Senftleben durch. „Ich weiß auch nicht, ob das gut geht“, sagte er da. „Es kann sein, dass ich damit krachend gegen die Wand fahre.“ Dieses Risiko geht er ein.

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